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Illustration einer Essenssituation im Wohnalltag: Menschen mit verschiedenen Behinderungen sitzen am Esstisch und versuchen, sich zu verständigen.

Unerkannte Hör- und Sehprobleme: Wie Menschen in Behinderteneinrichtungen von mehr Barrierefreiheit profitieren

Seh- und Hörbeeinträchtigungen bei Personen in bayerischen Wohneinrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderung treten häufiger auf als erwartet. Sie bleiben zudem oftmals unerkannt. Das bestätigt eine Untersuchung der Blindeninstitutsstiftung.

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Unerkannte Hör- und Sehprobleme:

Wie Menschen in Behinderteneinrichtungen von mehr Barrierefreiheit profitieren

Illustration einer Essenssituation im Wohnalltag: Menschen mit verschiedenen Behinderungen sitzen am Esstisch und versuchen, sich zu verständigen.
Ihre Empfehlungen für den Alltag in Wohneinrichtungen geben die Forschenden in einer kostenlosen Broschüre weiter. Anhand von fünf illustrierten Situationen aus dem Wohnalltag wird deutlich, was mögliche Barrieren für seh- und hörbeeinträchtigte Menschen sind und wie man sie reduzieren kann.
Seh- und Hörbeeinträchtigungen bei Personen in bayerischen Wohneinrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderung treten häufiger auf als erwartet. Sie bleiben zudem oftmals unerkannt. Das bestätigt eine Untersuchung der Blindeninstitutsstiftung, der Universität Hamburg, der LMU München und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Die vom Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention geförderte Studie zeigt aber auch, wie die Teilhabe im Alltag der seh- und hörbeeinträchtigten Bewohnerinnen und Bewohner verbessert werden kann – und wie auch das Personal davon profitiert.

Im Rahmen des Projekts „Sehen und Hören bei Menschen mit geistiger bzw. komplexer Behinderung in Bayern“ erhob eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Daten zum Seh- und Hörvermögen von Bewohnerinnen und Bewohnern aus 13 unterfränkischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.

Vor allem Hörbeeinträchtigungen bleiben oft unentdeckt

Mithilfe eines Fragebogens haben Mitarbeitende der teilnehmenden Einrichtungen Beobachtungsfragen zum Hör- und Sehverhalten der bei ihnen lebenden komplex beeinträchtigten Menschen beantwortet. Gleichzeitig wurde eine Erhebung am Medizinischen Zentrum für erwachsene Menschen mit komplexer Behinderung (MZEB) durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Beeinträchtigungen beim Hören und Sehen oftmals nicht bekannt sind.
  • Sehen: 88 Prozent der Personen hatten eine Sehbeeinträchtigung. In rund 40 Prozent der Fälle war diese vor einer Untersuchung im MZEB nicht bekannt.
  • Hören: 72 Prozent der Personen hatten eine Beeinträchtigung des Hörvermögens, von denen es 69 Prozent nicht bekannt war.
  • Sehen und Hören: 63 Prozent der Personen hatten sowohl eine Seh- als auch eine Hörbeeinträchtigung.
Es wurde deutlich, dass Hörminderungen im Vergleich zu Sehbeeinträchtigungen seltener und später erkannt werden. Zudem ist zu vermuten, dass eine Hörminderung bei Menschen mit bereits bekannter Sehbehinderung häufig übersehen wird.

Hör- und Sehbeeinträchtigung schränken Teilhabe im Alltag ein

Beeinträchtigungen der Fernsinne erfordern besondere Anstrengungen der Betroffenen, was zu Ermüdung und verringerter Aufmerksamkeit führt. Gereizte, ängstliche oder auch aggressive Verhaltensweisen können auftreten. Um am Wohnalltag teilzuhaben, müssen Betroffene mit Seh- und/oder Hörbeeinträchtigung zusätzliche Anstrengungen aufbringen.

Ungünstige Umweltbedingungen wie hallige Räume, Lärm, unzureichende Beleuchtung und unverständliche Handlungsanweisungen stellen Barrieren dar. Diese Bedingungen erfordern auch von Menschen ohne Sinnesbeeinträchtigung erhöhten Energieaufwand und können zu Missverständnissen, Unsicherheiten, Fehlern, Stolpergefahr, Frust und Stress führen.

„Wenn übersehen wird, dass komplex behinderte Menschen, nur wenig oder gar nichts sehen oder hören, hat das große Auswirkungen auf deren Selbstbestimmung im Alltag und die Teilhabe in allen Lebensbereichen. Denn eine zusätzliche Sinnesbehinderung erfordert ein ganz anderes, barrierefreies Setting und vor allem entsprechende Kenntnisse der begleitenden Fachkräfte.”

Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung

Rahmenbedingungen können verbessert werden

Im zweiten Teil der Studie nahm ein Forschungsteam der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Hamburg die Rahmenbedingungen in den Wohnangeboten der Behindertenhilfe unter die Lupe. Dafür wurden 19 Wohneinrichtungen unterschiedlicher Größe und von verschiedenen Trägern in ganz Bayern besucht. Dabei stellten sie fest:
  • Barrierefreiheit in Bezug auf Sehen und Hören nicht mitgedacht: Nur selten wurde sowohl auf gute Beleuchtung als auch auf gute Akustik geachtet. Eine gemeinsame Betrachtung von spezifischen Barrieren in den Bereichen Sehen und Hören wurde nicht vorgefunden.
  • Hörbeeinträchtigungen werden leichter übersehen: Bei den Besuchen in den Einrichtungen zeigte sich, dass für Mitarbeitende Auswirkungen einer Sehbeeinträchtigung eher offensichtlich werden als mangelndes Hörvermögen der Bewohner.
  • Hoher Bedarf an Schulungen: Mitarbeitende in den Einrichtungen verfügen häufig über geringes fachliches Hintergrundwissen zu Seh- und Hörbeeinträchtigungen sowie deren Auswirkungen. Der Wunsch nach Fortbildungen und Informationsmaterial wurde mehrfach geäußert.
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention hat das dreijährige Projekt „Sehen und Hören bei Menschen mit geistiger bzw. komplexer Behinderung in Bayern“ mit 420.000 Euro gefördert.
Gefördert durch Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention

„Die Erkenntnisse aus der Studie zeigen, dass wir die Lebensqualität und Teilhabe von Menschen mit komplexen Behinderungen in Wohnangeboten durch gezielte Maßnahmen und Sensibilisierung erheblich verbessern können.”

Staatsministerin Judith Gerlach

Broschüre soll Mitarbeitende sensibilisieren

Broschüren liegen auf einem holzfarbernem Tisch: Das Titelbild enthält geometrische Formen in gelb, grün und lila. Oben links Text: Sehen und Hören mitdenken. Links unten eine comic-hafte Illstration mit einem Mann und einer Frau im Gespräch. Rechts oben eine Illustration mit einem Mann am Tisch.
Genau hier setzt eine Broschüre an, in der die Forschenden aus den Ergebnissen der Studie konkrete Verbesserungsmaßnahmen ableiten. Mitarbeitende erhalten praxisnahe Tipps, wie das gemeinsame Miteinander im Wohnalltag gestaltet werden kann. Denn oftmals helfen schon kleine Veränderungen bei der Umgebungsgestaltung oder in der Kommunikation, um die Rahmenbedingungen für Personen mit Hör- und/oder Sehbeeinträchtigung zu verbessern. Wichtig dabei: Sowohl an das Hören als auch an das Sehen denken!
  • In Essenssituationen einfarbige Tischdecken oder Platzsets nutzen, von denen sich das Geschirr kontrastreich abhebt und mit denen gleichzeitig das Scheppern des Bestecks und Geschirrs vermindert wird.
  • Gemeinsamen Besprechungen für alle nachvollziehbar gestalten, indem leserliche Ablaufpläne genutzt, Informationen durch taktil erfassbare Objekte gegeben und Gesprächsregeln beachtet werden.
  • Teilhabemöglichkeiten durch die Berücksichtigung des Mehr-Sinne-Prinzips schaffen und die Selbständigkeit durch Wahlmöglichkeiten unterstützen.
  • Erreichbare und auffindbare Tafeln und Pläne mit klarer Struktur und lesbaren Informationen interaktiv gestalten.
  • Durch die Vermeidung von Hintergrund- und Störgeräuschen sowie eine ausreichende und gleichmäßige Beleuchtung Räume angenehm gestalten.
Gefördert durch Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention

Von Barrierefreiheit profitieren alle

Gute Wohn- und damit Lebensbedingungen für Personen mit komplexer Beeinträchtigung und Sinnesbeeinträchtigung sind darüber hinaus auch für die Mitarbeitenden wertvoll. Sie profitieren ebenfalls von einer Reduzierung des Lärms, besserer Beleuchtung sowie klareren Strukturen und Abläufen in ihrem Arbeitsalltag. Für Menschen mit einer Beeinträchtigung des Hörens und Sehens ist es notwendig, die Umgebung anzupassen. Vor allem, weil sich Menschen mit zunehmendem Alter schwerer anpassen können.

Die Kooperationspartner der Blindeninstitutsstiftung

Blindeninstitutsstiftung / Medien- und Öffentlichkeitsarbeit

Thomas Kandert
Stabsstelle Stiftungskommunikation
Tel. 0931 2092-6155
thomas.kandert@blindeninstitut.de

Symbol von einem Smart Phone das ein klingelndes Telefon zeigt

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