Unerkannte Hör- und Sehprobleme:
Wie Menschen in Behinderteneinrichtungen von mehr Barrierefreiheit profitieren
Im Rahmen des Projekts „Sehen und Hören bei Menschen mit geistiger bzw. komplexer Behinderung in Bayern“ erhob eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Daten zum Seh- und Hörvermögen von Bewohnerinnen und Bewohnern aus 13 unterfränkischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.
Vor allem Hörbeeinträchtigungen bleiben oft unentdeckt
Die Ergebnisse zeigen, dass Beeinträchtigungen beim Hören und Sehen oftmals nicht bekannt sind.
- Sehen: 88 Prozent der Personen hatten eine Sehbeeinträchtigung. In rund 40 Prozent der Fälle war diese vor einer Untersuchung im MZEB nicht bekannt.
- Hören: 72 Prozent der Personen hatten eine Beeinträchtigung des Hörvermögens, von denen es 69 Prozent nicht bekannt war.
- Sehen und Hören: 63 Prozent der Personen hatten sowohl eine Seh- als auch eine Hörbeeinträchtigung.
Hör- und Sehbeeinträchtigung schränken Teilhabe im Alltag ein
Ungünstige Umweltbedingungen wie hallige Räume, Lärm, unzureichende Beleuchtung und unverständliche Handlungsanweisungen stellen Barrieren dar. Diese Bedingungen erfordern auch von Menschen ohne Sinnesbeeinträchtigung erhöhten Energieaufwand und können zu Missverständnissen, Unsicherheiten, Fehlern, Stolpergefahr, Frust und Stress führen.
„Wenn übersehen wird, dass komplex behinderte Menschen, nur wenig oder gar nichts sehen oder hören, hat das große Auswirkungen auf deren Selbstbestimmung im Alltag und die Teilhabe in allen Lebensbereichen. Denn eine zusätzliche Sinnesbehinderung erfordert ein ganz anderes, barrierefreies Setting und vor allem entsprechende Kenntnisse der begleitenden Fachkräfte.”
Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung
Rahmenbedingungen können verbessert werden
- Barrierefreiheit in Bezug auf Sehen und Hören nicht mitgedacht: Nur selten wurde sowohl auf gute Beleuchtung als auch auf gute Akustik geachtet. Eine gemeinsame Betrachtung von spezifischen Barrieren in den Bereichen Sehen und Hören wurde nicht vorgefunden.
- Hörbeeinträchtigungen werden leichter übersehen: Bei den Besuchen in den Einrichtungen zeigte sich, dass für Mitarbeitende Auswirkungen einer Sehbeeinträchtigung eher offensichtlich werden als mangelndes Hörvermögen der Bewohner.
- Hoher Bedarf an Schulungen: Mitarbeitende in den Einrichtungen verfügen häufig über geringes fachliches Hintergrundwissen zu Seh- und Hörbeeinträchtigungen sowie deren Auswirkungen. Der Wunsch nach Fortbildungen und Informationsmaterial wurde mehrfach geäußert.
„Die Erkenntnisse aus der Studie zeigen, dass wir die Lebensqualität und Teilhabe von Menschen mit komplexen Behinderungen in Wohnangeboten durch gezielte Maßnahmen und Sensibilisierung erheblich verbessern können.”
Staatsministerin Judith Gerlach
Broschüre soll Mitarbeitende sensibilisieren
- In Essenssituationen einfarbige Tischdecken oder Platzsets nutzen, von denen sich das Geschirr kontrastreich abhebt und mit denen gleichzeitig das Scheppern des Bestecks und Geschirrs vermindert wird.
- Gemeinsamen Besprechungen für alle nachvollziehbar gestalten, indem leserliche Ablaufpläne genutzt, Informationen durch taktil erfassbare Objekte gegeben und Gesprächsregeln beachtet werden.
- Teilhabemöglichkeiten durch die Berücksichtigung des Mehr-Sinne-Prinzips schaffen und die Selbständigkeit durch Wahlmöglichkeiten unterstützen.
- Erreichbare und auffindbare Tafeln und Pläne mit klarer Struktur und lesbaren Informationen interaktiv gestalten.
- Durch die Vermeidung von Hintergrund- und Störgeräuschen sowie eine ausreichende und gleichmäßige Beleuchtung Räume angenehm gestalten.