Die Mutter des kleinen Leon, betrachtet ihn von der Seite.

SCHWERPUNKT FRÜHES SEHEN – NACHGEFRAGT


"ich sehe das positiv“

NACHGEFRAGT: Der komplex behinderte Leon (4) aus Schnaittach bei Nürnberg wird von der Früh­­­för­­­derung Sehen des Blindeninstituts Rückersdorf betreut. Im Interview erzählt seine Mutter Monika Falkner-Scholz, wie sie mit der Behinderung umgeht und warum die Angebote des Blindeninstituts so wichtig für sie sind.

Von Martina Häring

Frau Falkner-Scholz, was hat Leon für eine Behinderung und wann ist sie aufgefallen? In seinen ersten Lebenstagen ist Leon mehrmals blau angelaufen und musste auf die Intensivstation. Dort stellte sich heraus, dass es Krampfanfälle sind, die von einer Hirnfehlanlage rühren. Bei ihm fehlt der Balken – die Nervenfasern, die die Gehirnhälften verbinden. Dadurch leidet er unter einer spastischen Lähmung von Armen und Beinen, kann nicht laufen und ist stark sehbehindert.

Wie war es, von der Behinderung zu erfahren? Ich hatte ein kerngesundes Baby erwartet. Mein Kind nicht mit nach Hause nehmen zu können, war für mich die Hölle. Nach der Entlassung ging es mir besser, aber unser Leben veränderte sich komplett: Plötzlich hat man ganz andere Themen, Sorgen und Ängste als andere Eltern. Sich mit anderen Familien zu treffen, hat für mich gar nicht mehr funktioniert.

Wann haben Sie bemerkt, dass Leon auch Sehprobleme hat? Schon mit einem halben Jahr bekam Leon bei der Lebenshilfe Physio-, Ergo- und Logotherapie. Als er ein Jahr alt war, hat die Physiotherapeutin den Verdacht geäußert und mir geraten, beim Blindeninstitut anzurufen. Nachdem ein Augenarzt die Sehbehinderung diagnostiziert hatte, konnten wir mit der Frühförderung Sehen starten.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Frühförderung? Inzwischen findet sie im Kindergarten statt, deshalb bekomme ich nicht mehr so viel mit. Wir kommunizieren über ein „Hausaufgabenheft“, damit ich weiß, was läuft. Am Anfang war ich irritiert über all die glitzernden und blinkenden Sachen, denn ich war eher für Holzspielzeug. Aber Kinder mit Sehbehinderung brauchen genau so etwas. Ich muss sagen: Das komplette Team der Frühförderung ist ein Traum. Alle sind so offen und herzlich.

Leon badet zusammen mit seiner Mutter in einem Schwimmbecken.

Spaßig für Leon – hilfreich für seine Mutter: Beim Schwimmen und anderen Angeboten des Blindeninstituts trifft Monika Falkner-Scholz andere Eltern mit gleichen Fragen und Problemen.

Wie hat sich Leon seit dem Beginn der Frühförderung entwickelt? Am Anfang war der Effekt nicht so deutlich, aber inzwischen merkt man, dass er versucht zu stehen. Kopfkontrolle und Mundmotorik sind viel besser geworden, er kaut besser und isst am Tisch mit. Das sind riesige Entwicklungsschritte. Das Sehen wird offenbar auch besser, denn er dreht die Augen seltener nach oben, fixiert mehr, schaut wacher. Zu Hause habe ich inzwischen einen Reha-Buggy, einen Therapiestuhl und einen Stehständer. Und gerade fangen wir mit Unterstützter Kommunikation an: Ich bespreche ein Gerät mit einer Nachricht, etwa mit Dingen, die Leon erlebt hat. Im Kindergarten kann er dann davon erzählen, indem er einen Knopf drückt und die Nachricht abspielt. Leon braucht sehr viel Unterstützung. Wie meistern Sie das alles? Haben Sie Hilfe? Mein Mann macht Schichtarbeit und arbeitet im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern mit. Da bleibt nicht viel Zeit. Bei der Betreuung unterstützt mich meine Schwiegermutter, dadurch kann ich arbeiten – für mich ein sehr wichtiger Ausgleich. Außerdem nutzen wir auch die Verhinderungspflege. Man darf nicht immer nur an das Kind denken und muss sich selbst auch mal was Gutes tun. Und ich bin mit dem Thema immer offen umgegangen, habe Leon überall hin mitgenommen und aktiv Kontakte geknüpft.

Leons Mutter beim Sprechen.
„Den Spruch „Hauptsache, gesund“ kann ich nicht mehr hören. Ich sage immer: „Hauptsache, geliebt.“ Denn ich bin so froh, Leon zu haben."
Monika Falkner-Scholz,  Mutter von Leon

Hat Ihnen das Blindeninstitut geholfen, Kontakte zu anderen Familien zu knüpfen? Ja, das war sehr wichtig für mich. Deshalb nehme ich auch alle Angebote wahr. Sommer-, Frühlings- und Lichterfest, Schwimmen und Ähnliches haben einen festen Platz im Kalender. Dort trifft man Leute, die die gleichen Probleme haben: Wie beantragt man Ausweise und Pflegegrad? Wo kann man gut schwimmen? Was gibt es für Hilfsmittel? Gibt es weitere Angebote, die Sie nutzen? Einmal im Jahr gehen wir zum Schnuppertag der Reittherapie. Die Tiere strahlen irgendetwas aus, das Leon guttut. Danach ist er immer so entspannt, die Muskeln sind viel lockerer. Ein zusätzliches Angebot wäre schön. Bis jetzt können nämlich nur Kinder der schulvorbereitenden Einrichtung regelmäßig teilnehmen. Wie blicken Sie in die Zukunft? Generell weiß man bei Kindern mit Balkenagenesie nicht, wie sie sich entwickeln. Von kerngesund bis schwerstbehindert ist alles drin. Ich sehe das positiv und sage: Irgendwann läufst du, und wenn es mit einem Rollator ist! Den Spruch „Hauptsache, gesund“ kann ich nicht mehr hören. Ich sage immer: „Hauptsache, geliebt.“ Denn ich bin so froh, Leon zu haben

Leons Mutter schaut zu ihrem Sohn, der in einem gelben Stuhl sitzt.

Kopfkontrolle und Mundmotorik sind seit der Frühförderung viel besser geworden.