In der Förderstätte können alle selbst bestimmen, was sie gerne tun möchten. Hier spaltet eine Klientin mit Unterstützung Holz für Ofenanzünder.
SCHWERPUNKT ARBEITEN – NACHGEFRAGT
Ein zweites Lebensmilieu
NACHGEFRAGT Der Förderbereich ist ein unersetzliches Angebot der Blindeninstitutsstiftung. Warum das so ist, erklären Steffi Kallenbach, Förderbereichsleiterin des Blindeninstituts Thüringen, sowie Claudia Heß, Förderstätten-Leiterin des Blindeninstituts Regensburg.
Von Pat Christ
Nicht jeder weiß, was genau unter Förderstätten zu verstehen ist. Für wen sind sie gedacht?
Steffi Kallenbach: Nach der Schule stellt sich für Menschen mit Behinderung die Frage, ob sie in eine Werkstatt oder in den Förderbereich gehen. Der Förderbereich des Blindeninstituts Thüringen ist ein Angebot für erwachsene Menschen mit Sehbehinderung/Blindheit und weiteren sehr komplexen Behinderungen, die die Kriterien für die Aufnahme in eine Werkstatt nicht erfüllen. Er bietet ein zweites Lebensmilieu und lässt jeden Einzelnen im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv teilhaben und teilnehmen.
Steffi Kallenbach Leitung Förderbereich Blindeninstitut Thüringen-Schmalkalden
Claudia Heß Leitung Förderstätte Blindeninstitut Regensburg
In einer Förderstätte wird also, anders als in einer Werkstatt, nicht im klassischen Sinne gearbeitet. Es werden aber auch, anders als in einer Schule, keine Lehrinhalte vermittelt. Was genau geschieht denn im Förderbereich? Claudia Heß: Wir fördern unsere Klientinnen und Klienten ganzheitlich in allen Lebensbereichen. Bei uns in Regensburg geschieht dies täglich zwischen 8 und 16 Uhr. Zum Teil stellen wir Produkte her, die wir dann bei Festen verkaufen können. Es ist zum Beispiel möglich, in sieben Arbeitsschritten, meist mit viel Unterstützung, Ofenanzünder herzustellen. Vielleicht kann ein Klient, mit oder ohne Handführung, hierfür Holz spalten. Die Klientinnen und Klienten können sich auch am Kochen oder Backen aktiv beteiligen. Wir arbeiten auch gerne mit dem Material Ton oder musizieren gemeinsam. Großen Wert legen wir auf Selbstbestimmung. Das bedeutet, dass die Klienten zum Beispiel zwischen mehreren Beschäftigungen wählen können.
Was würden Sie denn als die wichtigsten Ziele von Förderstätten beschreiben? Kallenbach: Für mich ist eines der wichtigsten Ziele, einen Lern- und Erfahrungsraum zu bieten, in dem die Klientinnen und Klienten Kenntnisse und Fähigkeiten trainieren und erhalten können. Sie sollen so selbstständig wie möglich am Leben in der Gemeinschaft teilhaben. Es geht aber auch darum, soziale Beziehungen zu erleben und Lebensfreude zu wecken, auch bei Menschen mit komplexen Behinderungen. Wir lassen die Klienten in diesem Fall zum Beispiel Musik erleben, Klänge spüren oder geben ihnen Materialien zum Erfühlen und Erkunden, was sie meist mit einem Lächeln annehmen. Auch wer so komplex beeinträchtigt ist, dass er beispielsweise nicht basteln kann, erlebt Freude am Dabeisein und an der Gemeinschaft. Oder jemand kann nicht Papier reißen oder festkleben, aber den Klebestift in der Hand halten für eine andere Person und ist somit in den Bastelprozess integriert.
Für das Herstellen der Ofenanzünder sind mehrere Arbeitsschritte nötig. Hier wird geprüft, ob die Größe stimmt.
Wie wichtig ist für Ihre Klienten, dass sie bei Ihnen anderen Leuten begegnen? Heß: Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, die Klientinnen und Klienten bei ihrem Wunsch zu unterstützen, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen oder zu bleiben. Selbst bei schwersten Beeinträchtigungen ist es möglich, Freundschaften zu schließen, auch zwischen sprechenden und nicht sprechenden Männern und Frauen. Wir stellen manchmal durch Zufall fest, dass sich zwei Klienten besonders mögen. Zum Beispiel, weil wir sehen, dass ein Strahlen über das Gesicht huscht, wenn der eine dem anderen begegnet.
Wo und in welchem Rahmen findet Ihr Förderangebot jeweils statt? Heß: Insgesamt gibt es im Blindeninstitut Regensburg 14 Gruppen: jeweils sieben am Standort Regensburg und sieben am Standort Hemau. Die Klientinnen und Klienten kommen zum Teil von zu Hause. Viele kommen aber auch aus unseren eigenen Wohngruppen. Das Wohnangebot und die Förderstätte befinden sich im selben Gebäude, allerdings nicht auf demselben Stockwerk. Wir haben also einen zweiten Lebensbereich mit eigenem Personal. Hier verfügen wir über verschiedene Räume, zum Beispiel über einen eigenen Ruheraum, einen Snoezelen-Raum und einen Sehförderraum. Kallenbach: Bei uns ist das etwas anders, es ist nicht so, dass man von 8 bis 16 Uhr die Wohngruppe verlässt und in den Förderbereich geht. Bei uns ist der Förderbereich in das Wohnangebot integriert. Wobei wir auch eigene Förderräume haben. Man nimmt also beispielsweise vormittags an einem Förderangebot in einem Förderraum teil, geht dann in die Wohngruppe zurück und hat dort ein anderes Angebot.
Es gibt inzwischen ja immer mehr Senioren mit Behinderung. Was bedeutet das für die Förderstätten? Kallenbach: Das stimmt, unsere Klientinnen und Klienten werden älter. Unsere älteste Klientin ist nun über 50. Da muss man natürlich gucken, ob die bisherigen Angebote noch passen. Oder wie man diese Menschen ein wenig anders, also dem Alter und dem Gesundheitszustand entsprechend, einbeziehen kann. Heß: Auch in Regensburg ist der älteste Klient knapp über 50. Wir werden unsere Konzeption zeitnah an diese demografische Entwicklung anpassen müssen. Mit zunehmendem Alter ist es vielleicht nicht mehr für jeden Klienten möglich, acht Stunden in der Förderstätte zu verbringen. Dann werden wir kürzere, tagesstrukturierende Angebote machen müssen. Wir wachsen im Blindeninstitut grundsätzlich mit unseren Aufgaben.
Auch für Klienten mit komplexen Behinderungen ist es wichtig, dass ihre Sinne gefördert werden. Zum Beispiel, wenn sie Musik über den Ball erleben.