SCHWERPUNKT ARBEITEN – VORGESTELLT
Manuelas Eldorado
VORGESTELLT In der Kreativgruppe der Würzburger Förderstätte entstehen bezaubernde Werke – zum Beispiel aus der Hand von Manuela Wirsing
Von Pat Christ
Mit großer Hingabe malt Manuela Wirsing an ihrem Wasserbild. Alvaro Fernández assistiert ihr dabei.
Wunderbare Motive, harmonisch aufeinander abgestimmte Farben, Ausdruckskraft – was in der Kreativgruppe des Würzburger Blindeninstituts gestaltet wird, fasziniert. „Wir malen nicht nur, sondern filzen, machen Grußkarten aus Papier und, zusammen mit Keramikerin Ines Frey, Gartenstecker“, erzählt Barbara Knötgen, Ressortleiterin der Würzburger Förderstätte. Die Kunstwerke werden weithin nachgefragt. Zu den regelmäßigen Auftraggebern gehört zum Beispiel das Würzburger Kompostwerk.
Die Kreativgruppe, die an drei Tagen in der Woche nachmittags meist mit Eins-zu-eins-Betreuung für insgesamt 20 Menschen mit komplexen Behinderungen organisiert wird, ist ein Eldorado für Manuela Wirsing. Die Klientin des Blindeninstituts ist 37 Jahre alt. Seit neun Jahren malt sie. Im Augenblick arbeitet sie mit Álvaro Fernández an einem blauen Bild. „Das stellt Wasser dar, ich mag Wasser“, erzählt das Gruppenmitglied.
Bis ein Bild fertig ist, hat es viele Stadien durchlaufen. Mit dem Wasserbild haben Manuela Wirsing und Álvaro Fernández vor einer Woche begonnen. Als klar war, dass die Reise Richtung „Wasser“ gehen würde, wurden zunächst mit Kleister vermengte grüne Papierhandtücher auf die Leinwand aufgebracht. Ausnahmslos alle Kunstwerke, die in der Kreativgruppe entstehen, haben haptischen Charakter. Bei Manuela Wirsings Werk werden die Wellen spürbar.
Das Bild wird anschließend grundiert, dann geht es mit dem Malen los. Manuela Wirsing hat besonderes Glück: Mit Álvaro Fernández assistiert ihr ein in Spanien akademisch ausgebildeter Künstler. Schräg gegenüber hilft Petra Lamp, Erzieherin und Erlebnispädagogin, Zehra Dinc, einen dicken Pinsel über die Leinwand zu führen.
„Heute haben wir einen neuen Pinsel ausprobiert“, erzählt sie. Das hat nicht ganz so gut geklappt. Aber letztlich geht es ums Experimentieren. Und es geht darum, eine individuelle Lösung in Bezug auf die jeweilige Behinderung zu finden, so Petra Lamp: „Wir haben auch schon Pinsel auseinandergesägt und in einem anderen Winkel zusammengeschraubt, damit ihn jemand halten kann.“ Ist das Kunst? Können Menschen mit komplexen Behinderungen sowie Beeinträchtigungen des Sehvermögens Kunst schaffen? Diese Frage wird dem Team immer wieder gestellt. Oder auch: Ist das wirklich Kunst? Barbara Knötgen schmunzelt. Es steht, meint sie, jedem frei, ob er das, was in der Kreativgruppe gestaltet wird, für sich als Kunst empfindet oder nicht. Tatsache bleibt: Kreativität und Leistungswille ist etwas, das auch Menschen mit komplexen Behinderungen haben.
Ressortleiterin Barbara Knötgen ist stolz auf das, was in der Kreativgruppe geleistet wird.
Was die Mitglieder der Kreativgruppe anbelangt, besteht ein wesentlicher Unterschied zu anerkannten Künstlern darin, dass sie nicht nach Ruhm haschen. Sie schaffen Kunst aus purer Freude am Kreativsein. Eben dadurch entstehen bezaubernd „ungekünstelte“ Gemälde.
Früher wurde fast nur abstrakt gemalt. Mit Álvaro Fernández, der vor fünf Jahren dazukam, hielt das Gegenständliche Einzug in die Kreativgruppe. Hinter ihm und Manuela Wirsing ist ein großes, farbenfrohes Landschaftsbild zu sehen. Noch hat es keinen Titel. Wie es wohl heißen könnte? Vielleicht „Landschaft mit Moschee und Schafen?“ Álvaro Fernández lacht: „Ja, vielleicht.“
Vor allem Manuela Wirsing kommt der frische Wind, den der Künstler mitgebracht hat, entgegen. Die Bewohnerin interessieren zwar auch Strukturen und Farben. Aber am liebsten hat sie es figürlich. Malt sie etwas Konkretes. Wasser. Oder Bäume. Manchmal dauert es viele Monate, bis solch ein Bild fertig ist. Im Schnitt entstehen in der Kreativgruppe 30 Gemälde im Jahr.
Nicht nur zweidimensional: Alle Kunstwerke haben einen haptischen Effekt.
Die meisten Bilder sind bunt, einige haben auffällige weiße Konturen. „Das ist für unsere Klientinnen und Klienten vom Sehen her wichtig, sie brauchen Farben und Kontraste“, erläutert Barbara Knötgen. Mit Zehra Dinc und Manuela Wirsing nehmen an diesem Nachmittag zwei Klientinnen an der Kreativgruppe teil, die ihr Sehvermögen gut einsetzen können. Beide haben auch schon reichlich Erfahrung im kreativen Gestalten. „Als Zehra zum ersten Mal hier war, hat sie sich so gefreut, dass sie wegen einer spontanen Spastik die Finger nicht öffnen konnte“, erzählt Petra Lamp. Das hat sich inzwischen gelegt. Auch ist die junge Frau nun mit viel größerer Ausdauer bei der Sache.
Beim „Tag der offenen Tür“ im Juni werden die neuesten Werke präsentiert und selbstverständlich zum Verkauf angeboten. Wer etwas haben will, muss schnell sein. Meist sind die schönsten Bilder kurz nach der Vernissage bereits weg. Zu Jahresbeginn waren in Nürnberg 17 Bilder zu bewundern gewesen. Elf davon wurden verkauft.