Tobias Teschner arbeitet in der Keramikwerkstatt. Fast alle Rohlinge werden hier von den Mitarbeitenden handgefertigt.
Tobias Teschner arbeitet in der Keramikwerkstatt. Fast alle Rohlinge werden hier von den Mitarbeitenden handgefertigt.
SCHWERPUNKT ARBEITEN – MITERLEBT
Eine Werkstatt mit vielen Möglichkeiten
MITERLEBT Auf einer Tour durch die Bentheim Werkstatt eröffnen sich verschiedenste Arbeitswelten.
Von Martina Häring
Donnerstagvormittag in der Bentheim Werkstatt in Würzburg. Große Hallen, wie sie in anderen Werkstätten für Menschen mit Behinderung üblich sind, sucht man hier vergeblich. Das hat einen bestimmten Grund: „Die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr darauf angewiesen, sich gut orientieren zu können“, sagt Stefanie Löhner, die Leiterin der Bentheim Werkstatt. Altersmäßig sind sie bunt gemischt vom jungen Erwachsenen- bis zum Rentenalter und auch das Ausmaß ihrer Beeinträchtigungen ist sehr unterschiedlich. Was sie gemeinsam haben, ist eine Sehbehinderung oder Blindheit, die mit einer weiteren Behinderung kombiniert ist. Um dem gerecht zu werden, braucht es eine spezialisierte, relativ intensive Betreuung und die passenden Rahmenbedingungen. Deswegen wird hier in Gruppen von zehn bis elf Personen gearbeitet, jeweils räumlich getrennt.
Wir beginnen unsere Tour durch die Werkstatt da, wo auch die meisten Mitarbeitenden anfangen: im Berufsbildungsbereich. Diese „Mini-Berufsschule“ dauert zweieinhalb Jahre und ist noch völlig offen, was den späteren Arbeitsbereich angeht. Johannes Kraus verpackt gerade Nägel in kleine Tüten. „Ich liebe Nägel!“, bricht es aus ihm heraus. Das Zählen der Nägel übernimmt eine Waage. Anschließend schweißt Jonas Kohler am Tisch gegenüber die Tüten zu. Man arbeitet eng zusammen. Am Ende wird daraus ein Bastel-Bausatz für ein Segelschiff.
Stefanie Löhner, Leiterin der Bentheim Werkstatt
Wir beginnen unsere Tour durch die Werkstatt da, wo auch die meisten Mitarbeitenden anfangen: im Berufsbildungsbereich. Diese „Mini-Berufsschule“ dauert zweieinhalb Jahre und ist noch völlig offen, was den späteren Arbeitsbereich angeht. Johannes Kraus verpackt gerade Nägel in kleine Tüten. „Ich liebe Nägel!“, bricht es aus ihm heraus. Das Zählen der Nägel übernimmt eine Waage. Anschließend schweißt Jonas Kohler am Tisch gegenüber die Tüten zu. Man arbeitet eng zusammen. Am Ende wird daraus ein Bastel-Bausatz für ein Segelschiff.
Stefanie Löhner, Leiterin der Bentheim Werkstatt
Die Arbeitsgruppe, die wir im nächsten Raum antreffen, verpackt keine Nägel, sondern Wartungs-Kits eines Dialysemaschinen-Herstellers mit diversen Filtern und Gummidichtungen. „Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Teile sehr ähnlich aussehen“, erklärt Stefanie Löhner. Teilweise ist es schon für Sehende schwierig, sie zu unterscheiden. Auf der anderen Seite hat der Hersteller eine Null-Fehler-Toleranz, weil er die reibungslose Wartung seiner Geräte garantieren muss.
Das Zusammensetzen der Sets läuft daher in einer Montagestraße: Manche fügen nur ein bestimmtes Teil zum Set hinzu, andere mehrere – ganz nach individuellen Fähigkeiten. Am Ende werden alle Sets von den Gruppenleitungen überprüft.
Das Zusammenstellen von Montage-Kits für Dialysegeräte ist anspruchsvoll. Denn die Teile ähneln sich zum Teil stark.
Wenn der Auftraggeber auf seine Produkte wartet, kann es auch mal Zeitdruck geben, dann helfen alle zusammen. „Wir achten aber darauf, dass nicht zu viel Druck bei den Mitarbeitenden ankommt. Und am Ende sind alle stolz, wenn wir es geschafft haben“, so Löhner.
Vorbei am Lager gehen wir weiter zur nächsten Station: Pflanzen, bunte Tücher, Dekoratives – wir sind in der Gruppe für Kunsthandwerk. Unter anderem entstehen hier Arbeiten aus Ton, im Moment ist Oster-Dekoration gefragt. „Das Besondere in der Werkstatt ist, dass die Rohlinge zu 90 Prozent von den Mitarbeitenden gestaltet werden“, erklärt Barbara Rowshan, die die Keramikgruppe leitet. Tobias Teschner zeigt einen Becher, den er auf der Drehscheibe gemacht hat. Mit einem Werkzeug hat er Rillen hineingeritzt und das Ganze anschließend bemalt und glasiert. Das Bemalen sei schwer, mache aber andererseits auch am meisten Spaß, sagt er.
In der Holzwerkstatt baut Steffen Seubert Holzkisten für Weinflaschen zusammen. Auch Bade- und Tee- Thermometer sowie viele weitere Gegenstände aus Holz entstehen hier.
Ausgeklügelte Arbeitsplatz-Designs
Auch schwerstmehrfachbehinderte Menschen bekommen in der Bentheim Werkstatt die nötige Unterstützung, zum Beispiel in Form entsprechend eingerichteter Arbeitsplätze. Ein Beispiel dafür sehen wir in der Metallgruppe, wo unter anderem Schrauben für einen Schraubenhersteller abgepackt werden. Nicht jeder ist in der Lage, die Anzeige der Waage zu lesen, die die Zahl der Schrauben angibt – sei es wegen des Augenlichts oder wegen einer kognitiven Einschränkung. Deshalb zeigt eine „Ampel“ den Füllungsstand an: Solange sie auf Orange steht, müssen Schrauben nachgefüllt werden. Bei Rot sind es zu viele Schrauben, bei Grün stimmt die Zahl.
Beim Schrauben-Abwiegen hilft eine Ampel. Gerade steht sie auf Orange.
Im Berufsbildungsbereich werden wichtige berufliche und soziale Kompetenzen vermittelt. Hier packt Johannes Kraus Nägel für Bastelbausätze ab.
Beim Schrauben-Abwiegen hilft eine Ampel. Gerade steht sie auf Orange.
Im Berufsbildungsbereich werden wichtige berufliche und soziale Kompetenzen vermittelt. Hier packt Johannes Kraus Nägel für Bastelbausätze ab.
Für andere Tätigkeiten sind die Arbeitsplätze noch deutlich aufwändiger konstruiert: Ronny Schumann zum Beispiel sitzt an einer schweren Maschine, die Löcher in kleine Metallverbinder bohrt. Vorrichtungsbauer Jürgen Sikora hat sie so ausgestattet, dass auch ein Mensch mit Sehbehinderung sie bedienen kann. „Wir arbeiten viel mit Hebeln“, sagt er. Die Maschinen konzipiert er so, dass neben der Sicherheit die Qualität für den Kunden stimmt und dass es für die Mitarbeitenden funktioniert.
„Ein vollblinder Mitarbeiter kann zum Beispiel hören, wenn der Bohrer stumpf ist und ausgetauscht werden muss“, so Georg Vornberger, Leiter der Metallwerkstatt. „Wichtig ist, dass man mit den Menschen arbeitet. Wenn sie uns eine Rückmeldung geben, können wir den Arbeitsprozess weiter verbessern.“ Neben der Sicherheit ist es wichtig, dass nichts hakt und klemmt. „Denn dann funktioniert das ganze System schlecht,“ so Sikora. Manche seiner Maschinen hat er über Jahre immer weiter verbessert. Aber manchmal muss es auch schnell gehen, wenn ein Kunde etwas neu beauftragt.
Ronny Schumann bohrt Löcher in Metallverbinder. Die Maschine, die er dafür nutzt, ist speziell für Menschen mit Sehbehinderung konzipiert.
Bei den „Metallern“ zu arbeiten, sei für viele ein Privileg. Denn das können nicht alle. Wer eine Pause braucht, kann zwischendurch in den Ruheraum gehen. Außerdem darf man sich auch ein- bis zweimal pro Woche arbeitsbegleitende Maßnahmen wie Mandala-Malen oder Yoga aussuchen. „Aber manche wollen das gar nicht, die wollen nur schaffen“, so Vornberger.
Praktikum als Einstiegshilfe in den Betrieb
Viel geschafft wird auch bei Michael Riethmann. Um ihm über die Schulter schauen zu können, muss man etwas weiter anreisen: Er arbeitet seit über zwei Jahren bei den Remlinger Rüben, eine halbe Stunde von Würzburg entfernt. Seinen Weg dorthin bewältigt er selbstständig mit dem Bus. In dem Bioland-Betrieb, der die Supermarktkette Tegut mit Karotten versorgt, übernimmt er verschiedene Tätigkeiten rund ums Abwiegen und Verpacken, aber auch beim Ordnunghalten und Saubermachen unterstützt er.
Michael Riethmann übernimmt auf dem Rübenhof in Remlingen verschiedene Aufgaben rund um das knackige Gemüse, zum Beispiel das Abpacken in Kisten.
Thomas Aurich, bei der Bentheim Werkstatt zuständig für Inklusion und Teilhabe, betreut derzeit sieben solcher betriebsintegrierter Einzelarbeitsplätze. Wenn ein Klient oder eine Klientin dafür geeignet ist und sich das vorstellen kann, versucht er zunächst, einen Praktikumsplatz zu finden. „Das hat sich bewährt. Denn die Betriebe sind oft erstmal skeptisch und es fehlt ihnen die Fantasie, wie das mit einem mehrfach behinderten Menschen funktionieren soll“, so Aurich. Wenn sie es dann im Rahmen des Praktikums erlebt haben, sind sie aber leicht zu überzeugen, so die Erfahrung.
Die Einarbeitungsphase, die sich im Falle von Michael Riethmann etwa ein Vierteljahr hingezogen hat, wird von Thomas Aurich in Vollzeit begleitet. Inzwischen kommt er nur noch bei Bedarf vorbei. Michael Riethmann fühlt sich wohl bei den Remlinger Rüben, das betriebsintegrierte Arbeiten gefällt ihm besser als die Werkstatt. Beides habe Vor- und Nachteile, so Aurich. Letztlich geht es aber darum, die Wahl zu haben.