Heike Sandrock, Schulleiterin der Graf-zu-Bentheim-Schule in Würzburg, und Frank Tollkühn, stellvertretender Schulleiter
SCHWERPUNKT SCHULE UND LEBEN – NACHGEFRAGT
In alle Richtungen offen
NACHGEFRAGT: So verschieden wie die Schülerinnen und Schüler sind auch die Angebote der Graf-zu-Bentheim-Schule in Würzburg. Wie die Schule diese Herausforderung meistert, erklären Schulleiterin Heike Sandrock und ihr Stellvertreter Frank Tollkühn.
Von Martina Häring
Eine typische Schullaufbahn an Regelschulen kennt jeder. An der Graf-zu-Bentheim-Schule werden blinde und sehbehinderte Kinder unterrichtet, die oft mehrfachbehindert oder taubblind/hörsehbehindert sind. Wie sieht bei Ihnen eine typische Schullaufbahn aus?
Heike Sandrock: Die typische Schullaufbahn gibt es bei uns so nicht, denn es kommt immer auf den Einzelfall an. Grundlegend anders ist, dass die Kinder mit Sehbehinderung oder Blindheit ab drei Jahren in unserer Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE) aufgenommen werden können und dass es ein verpflichtendes fünftes Grundschuljahr gibt. Aufgrund ihrer Sehbehinderung oder Blindheit brauchen die Schülerinnen und Schüler mehr Zeit, um entsprechende Kompetenzen zu erwerben.
Frank Tollkühn: Wir passen unsere Angebote an die Bedürfnisse und Erfordernisse der Schülerinnen und Schüler an. Gemeinsam mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern werden eventuell erforderliche Wechsel zwischen verschiedenen Lehrplänen und Bildungsgängen besprochen und ermöglicht.
„Das entspricht dem Grundgedanken der Inklusion: Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeit.“
Stellv. Schulleiter Frank Tollkühn
Zur Graf-zu-Bentheim-Schule gehört auch der Mobile Sonderpädagogische Dienst Sehen (MSD), der Schülerinnen und Schüler an Regel- und Förderschulen begleitet. Warum braucht es verschiedene Optionen?
Tollkühn: Mit unserem Angebot in ganz Unterfranken ermöglichen wir eine wohnortnahe Beschulung und somit ein Lernen vor Ort. Zum anderen sind die Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedlich in ihren Kompetenzen, ihren Begabungen und was ihr soziales Umfeld betrifft. Im Laufe der Zeit können sich zudem Entwicklungen ergeben, die eine Anpassung des Angebots erforderlich machen. Um hier adäquat reagieren zu können, brauchen wir ein breites Spektrum. Das entspricht auch dem Grundgedanken der Inklusion: Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeit.
Sandrock: Genau diese Durchlässigkeit ist uns wichtig, je nach den Erfordernissen einzelner Lebensphasen.
Wie findet man heraus, was für ein Kind aktuell das Richtige ist?
Sandrock: Wir stehen in engem Kontakt mit Eltern, Schülern und Lehrkräften und sind sehr nah dran an den Kindern und ihren Familien. Sonderpädagogen können aufgrund ihrer Fachlichkeit den Lern- und Entwicklungsstand eines Kindes einschätzen. Zudem haben wir die Möglichkeit, auf die Ressourcen unserer Fachdienste zurückzugreifen und Psychologen, Orthoptisten, Sozialpädagogen, Therapeuten oder beratende Pflegefachkräfte einzubinden.
Tollkühn: Generell arbeiten wir in multiprofessionellen Teams. In der Klasse sind das zum Beispiel Lehrkräfte, Heilpädagogen und Pflegekräfte, die gemeinsam mit den Schülern und Eltern den Förderplan erstellen. Darüber hinaus kann man sich im Rahmen der kollegialen Fallberatung austauschen und gemeinsam überlegen, was ein passendes Angebot sein könnte, auch über Abteilungen hinweg.
Viele Ihrer Schülerinnen und Schüler haben Mehrfachbehinderungen. In manchen Klassenzimmern sind Pflegebetten Standard. Und es kommt immer wieder vor, dass Kinder sterben. Wie geht man damit um?
Sandrock: Wir haben eine Klasse mit Schülern, die von einem Palliativteam betreut werden. Es sind ganz besondere Personen, die dort arbeiten und die auch eine ganz besondere Arbeit machen. Das Sterben gehört bei uns irgendwie dazu, ist aber trotzdem immer wieder schlimm. Gerade, wenn es plötzlich passiert. Schwierig ist es auch, wenn es eine Klasse mit taubblinden Kindern betrifft. Wie erklärt man einem taubblinden Kind den Tod?
„Wie erklärt man einem taubblinden Kind den Tod?“
Schulleiterin Heike Sandrock
Bei einem so breiten Spektrum und so vielen verschiedenen Berufsgruppen – wie gelingt es, so eine Schule zu leiten?
Sandrock: Das geht nur durch Teamarbeit und ein kooperatives Führungsverständnis. So haben wir im Rahmen eines Schulversuchs eine erweiterte Schulleitung etabliert. Wir haben unser Leitungsteam um eine Außenstellenleitung und zwei Heilpädagoginnen ergänzt – die größte Berufsgruppe an unserer Schule.
Tollkühn: Jeder von uns hat seine spezifische Fachlichkeit und sein Spezialgebiet, dem die Abteilungen zugeordnet sind. Durch unser kooperatives Leitungshandeln und die Pflege einer Beziehungskultur können wir die Kolleginnen und Kollegen mitnehmen. Jeder hat sein Feld, wir ergänzen uns sehr gut und tauschen uns viel aus.
Sandrock: Außerdem ist es uns wichtig, immer etwas voranzutreiben. Wir haben uns sehr für den Neubau der Außenstelle der Schule in Aschaffenburg eingesetzt sowie für die Einrichtung des Lehrstuhls für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen in Würzburg, beides mit Erfolg. Als Nächstes werden wir uns für die Etablierung eines Studienseminars in Würzburg einsetzen. Insgesamt ist es ein großer Gewinn, dass wir hier einen Studienstandort haben. Nicht zuletzt bringen die jungen Kolleginnen und Kollegen neue Impulse mit und bringen auch immer wieder die Wissenschaftlichkeit in unsere Arbeit ein.
Pflegebetten im Klassenzimmer – in manchen Klassen der Graf-zu-Bentheim-Schule ist das Standard.